Gewissenlos

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# geistliche Impulse/Extrablatt MH

Gewissenlos

Heute ist der 20. Juli. Ein gewöhnlicher Sommertag, könnte man meinen, doch vor 80 Jahren zündete Oberst Graf von Stauffenberg im damaligen Ostpreußen einen gegen Adolf Hitler gerichteten Sprengsatz. Das Attentat schlug fehl und mehr als 200 Mitverschwörer wurden in der Folge hingerichtet, darunter auch der Jesuitenpater Alfred Delp SJ. Noch in derselben Nacht sprach der ‚Führer‘ über Radio von einer „ganz kleinen Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich unvernünftiger, verbrecherisch-dummer Offiziere“.

Gewissenlos? Claus Schenk Graf von Stauffenberg dachte elitär und war kein Demokrat. Aber im Gegensatz zu vielen Militärs seiner Generation erkannte er Hitler als Massenmörder und fand die Kraft zum Widerstand.

Meine Großmutter erzählte selbstkritisch, sie habe nach der Meldung per ‚Volksempfänger‘ gesagt: „Sie werden doch wohl den Hitler nicht umbringen!“ Zwei Wochen vorher war ihr ältester Sohn Hans in Italien als Soldat gefallen. Auch mein Vater war damals Soldat, auf der Krim.

Ist das Attentat achtzig Jahre alter Schnee von gestern? Leider nicht. Denn wie beim Wetter braut sich auch in der Geschichte in der Regel schon im Vorfeld etwas zusammen: Elf Jahre war es 1944 bereits her, dass im März 1933 die letzten freien Wahlen stattgefunden hatten. Von da an hatten die Deutschen ‚keine Wahl‘ mehr, elf von tausend (gedachten) Jahren lang – und Europa versank in Schutt und Asche.

Dass es heute möglich ist, über allgemeine, freie und gleiche Wahlen das Zusammenleben mitzugestalten, bildet den gesellschaftlichen Rahmen für das „Gott suchen und finden in allen Dingen“. Jüngste Stimmen, Wahlen in irgendeiner Zukunft gar für ‚überflüssig‘ zu halten, sind brandgefährlich.

Sehen Sie im obigen Foto einen Sonnenauf- oder Sonnenuntergang? – Das Ende des ‚Dritten Reiches‘ lässt sich rückblickend nur als Aufgang einer neuen, menschlicheren Zeit deuten. Wie aber werden wir eines Tages über unser eigenes Tun urteilen?

Bezüglich des 20. Juli traf man im Nachkriegsdeutschland auf eine Mauer des Verdrängens. Denn wenn Widerstand gegen das NS-Regime möglich war, wie das versuchte Attentat zeigte, dann stellte sich die Frage nach dem eigenen Tun während der zwölfjährigen Naziherrschaft. Ignatius von Loyola sagt: „Die Klugheit hat zwei Augen: eines, das voraussieht, was man tut; das andere, das nachher besieht, was man getan hat.“ Dieser Blick auf das eigene Handeln kann schmerzen.

„Wir müssen alles tun, was wir können, aber am Ende steht das Vertrauen auf Gott“, so Ignatius. Dass wir das eine tun und das andere nicht lassen, das wünscht an diesem Julitag Ihr Benedikt Lautenbacher SJ, München

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