Interview mit Pfarrer Neumann
 

 

Pfarrer Stephan Neumann wurde am 31. Oktober 1965 in Potsdam geboren. Seine Heimatgemeinde war St. Peter und Paul, wo er viele Jahre in der Gruppe der Ministranten engagiert war. Zu DDR Zeiten bot der kirchliche Raum die einzige Möglichkeit zum freien Gedankenaustausch. Da ihm der Zugang zum Abitur verwehrt worden war, weil er die Jugendweihe ablehnte, begann er nach der zehnten Klasse eine Ausbildung als Facharbeiter für Datenverarbeitung. Er arbeitete als Bediener an einem Großcomputer, überlegte aber während dieser Zeit, ob er weiter Informatik studieren oder Priester werden wollte. Er entschied sich für den Ruf Gottes und machte in Magdeburg ein dreijähriges kirchliches Abitur. Anschließend nahm er 1987 in Erfurt sein Theologiestudium auf, das er 1992 als Diplomtheologe abschloss. Im Priesterseminar in Zehlendorf bereitete er sich auf seine Diakon- und Priesterweihe vor. Am 25. Juni 1994 wurde er von Kardinal Sterzinsky zum Priester geweiht und am Tag darauf feierte er seine erste heilige Messe (Primiz) in der Heimatgemeinde St. Peter und Paul in Potsdam. Anschließend arbeitete er als Kaplan in Rudow, Kreuzberg, Buch und Buchholz. Er machte eine Zusatzausbildung als Religionslehrer und Krankenhausseelsorger. Seit 2003 arbeitet er in St. Markus und St. Franziskus.

 

Wann und warum haben Sie sich für das Theologiestudium entschieden?

 

Ich habe mich nie fürs Theologiestudium entschieden, sondern ich habe mich entschieden, Priester zu werden. Und da gehört das Theologiestudium dazu. Nach meiner Erstkommunion wurde ich Ministrant. Vor allem der Oberministrant hat mich so inspiriert, dass ich bereits mit neun Jahren den Wunsch hatte, Priester zu werden.

 

Wie schwierig war es in der damaligen DDR, diesen Wunsch zu realisieren?

 

Ich hatte erst mal niemandem von meinem Berufswunsch erzählt, auch meinen Eltern nicht. Am Ende der zehnten Klasse rückte ich dann damit heraus. Aber der damalige Heimatpfarrer Adler hat mir empfohlen, doch erst mal eine Berufsausbildung zu machen, mit der man in der DDR etwas anfangen konnte. Auf ein normales Gymnasium durfte ich ja nicht gehen und das kirchliche Abitur war nicht anerkannt.
Nachdem ich diese Berufsausbildung abgeschlossen hatte und ich mir über mein Berufsziel im Klaren war, habe ich viel Unterstützung von Kaplänen meiner damaligen Gemeinde und meinen Eltern erhalten. Auch die katholische Gemeinde selbst hat mir auf vielfältige Weise geholfen und auch meine Großmutter, die viel für mich gebetet hat.

 

Gibt es Vorbilder, die Sie in ihrem Leben tief beeindruckt haben?

 

Da gab es mehrere Personen in meinem Umfeld. Einmal waren da der Oberministrant, den ich schon erwähnt hatte, und die Kapläne Klaus-Günter Müller und Norbert Kiesel. Sie waren auch bei meiner Primizmesse mit mir am Altar. Sie haben mir über manche Schwierigkeit hinweggeholfen.
Als Heilige habe ich vor allem Theresa von Lisieux, die für eine Spiritualität mit Vertrauen und Liebe steht, und den Pfarrer von Ars, der mit Hingabe als Beichtvater gewirkt hat, als Vorbilder. Ich war selbst vor meiner Diakonweihe in Lisieux und habe in einer Kirche die Bestärkung erfahren, dass ich mit meinem Berufswunsch auf dem richtigen Weg bin.

 

Was ist Ihr Aufgabenbereich in unserer Pfarrei und wie sieht eine typische Woche aus?

 

Ich feiere am Sonntag eine heilige Messe in St. Markus oder in St. Franziskus. Zusätzlich bin ich bei der eucharistischen Anbetung am Donnerstag in St. Markus und zelebriere eine heilige Messe am Freitag in St. Markus. Ich übernehme auch einige Taufen und Beerdigungen, dies aber in reduziertem Maß. Mein gesundheitlicher Zustand lässt leider nicht mehr zu.

 

Was schätzen Sie an St. Franziskus und St. Markus besonders?

 

Also ich habe in St. Franziskus ein sehr großes Engagement von den Gläubigen erleben dürfen. Das hat mich tief beeindruckt. Es gibt auch eine sehr gute Zusammenarbeit mit den Lektoren und Gottesdienst- Beauftragten. In der Kirche gefällt mir besonders die Nähe zu den Menschen. Ich verabschiede gerne die Menschen nach einem Gottesdienst persönlich am Ausgang. Dann ergibt sich manchmal noch ein Gespräch und es werden mir Anliegen gesagt.
In St. Markus freue ich mich besonders über die Ministrantengruppe. Die kürzlich erfolgte Aufnahme von vier neuen Mädchen und einem Jungen in die Schar der Ministranten hat mich sehr gefreut und mich an meine eigene Zeit als Ministrant erinnert.

 

Sie arbeiteten auch in der Krankenhausseelsorge. Was sind die größten Unterschiede zur Arbeit in einer Gemeinde?

 

Ja, ich habe in 2003/2004 einen zwölfwöchigen Kurs zur Krankenhaus-seelsorge in Köln gemacht. Anschließend habe ich bis 2016 in verschiedenen Krankenhäusern als Seelsorger gearbeitet. In das Krankenhaus werde ich entweder gerufen oder gehe auf die Station. Der größte Unterschied zur Gemeindearbeit ist wohl, dass im Krankhaus die Einzelbegleitung das Wichtigste ist. Dies steht in einer Gemeinde nicht so im Vordergrund. Ich habe das sehr gerne gemacht, weil ich in Einzelgesprächen meine Stärke sehe.

 

Wie schöpfen Sie neue Energie und wie verbringen Sie Ihre Freizeit?

 

Zuallererst aus dem Gebet und dem Empfang der Heiligen Kommunion. Nach dem Empfang der Heiligen Kommunion habe ich gerne etwas Stille für mich.
Ich gehe auch sehr gerne spazieren oder fahre mit meinem Rad. Besonders wichtig sind mir aber Freundschaften mit Menschen und Familien. Ich pflege diese Freundschaften durch telefonischen Kontakt, wenn wir uns auf Grund der Entfernung nicht regelmäßig sehen können.

 

Mehrere Gemeinden haben sich in Spandau Süd-West zu einer Großpfarrei zusammengeschlossen. Denken Sie, dass wir schon gut zusammengewachsen sind?

 

Nein, glaube ich nicht. Pfarrer Hassenforder besucht zum Beispiel die Gemeinde in Kladow, die die abgelegenste Gemeinde ist, so häufig als möglich und zeigt viel Präsenz in der ganzen Pfarrei. Von daher wird es schon besser. Die feierliche heilige Messe mit unserem Erzbischof zur Errichtung der neuen Pfarrei am 8. Januar hat ebenso einen Schub gegeben. Die Wahlen zum Pfarreirat und den Gemeinderäten sowie die Etablierung des Kirchenvorstands haben die organisatorische Grundlage geschaffen. Und da gibt es auch einen Austausch, das ist gut. Aber ich glaube, um wirklich als eine Pfarrei zusammenzuwachsen, gibt es noch einiges an Luft nach oben.

 

Was denken Sie, wäre so der nächste Schritt?

 

Gute Frage, die könnten sie wahrscheinlich besser beantworten. Ich komme von einem ganz anderen Denken. Wenn alle einen tieferen Zugang zu Christus suchen, dann wird die Pfarrei auch besser zusammenwachsen. Diesen Zugang können die Gläubigen besonders über das Bußsakrament oder die eucharistische Anbetung bekommen. Dadurch kann so viel mehr entstehen in Hinblick auf Zusammenwachsen und mehr Verständnis füreinander. Es gibt ja auch Auseinandersetzungen in unserer Gemeinde. Aber wenn die Beziehung zu Christus stärker wird, dann ist auch da eine größere Einheit in Christus möglich.

 

Lassen Sie uns zum Schluss noch den Blick weiten. Verfolgen Sie den synodalen Weg im Erzbistum Berlin?

 

Ja, nicht nur in Berlin, sondern auch in Deutschland. Es hat hier eine Konferenz für die Seelsorgerinnen und Seelsorger mit dem Erzbischof Heiner Koch gegeben, bei der wir einen sehr guten Überblick über die drei Phasen des Synodalen Wegs erhalten haben, auch mit verschiedenen Statements von Teilnehmern, die Probleme mit dem Synodalen Weg haben, und anderen, die ihn sehr befürworten. Leider gibt es eine Spaltung unter denen, die bei dem Treffen dabei waren. Ich persönlich vermisse den geistlichen Aspekt und die Spiritualität, ganz konkret: das Gebet zum Heiligen Geist. Außerdem fehlt mir bei dem Prozess in Deutschland der geschwisterliche Umgang miteinander. Wir müssen aufpassen, dass wir in Deutschland nicht unseren eigenen Weg, weg von der Weltkirche, gehen. Wir brauchen keine neue Reformation, das heißt, wir brauchen keine zweite evangelische Kirche.
Ja, die Kirche muss sich immer wieder erneuern. Das ist ein Grundsatz, ein theologischer Grundsatz: ecclesia semper reformanda. Aber die Erneuerung fängt zuerst bei jedem einzelnen selbst an.

 

Gibt es Erwartungen an die Weltsynode in Rom, die gerade stattfindet?

 

Ich erwarte eine Erneuerung der Kirche insgesamt, vergleichbar wie beim Zweiten Vatikanischen Konzil. Ich würde mir neue Impulse zur Evangelisierung wünschen, die bei jedem einzelnen eine stärkere Sehnsucht nach der Botschaft Jesu bewirkt und zu deren Weitergabe ermutigt. Auch sollte der Geist der Liebe und Barmherzigkeit das Miteinander gestalten. Gerade was den Umgang miteinander anbelangt, ist die Weltsynode von Geschwisterlichkeit, Barmherzigkeit und Suchen nach dem Heiligen Geist geprägt. Das würde ich mir auch für den synodalen Weg in Deutschland wünschen. Die Weltsynode soll alle gegenwärtigen Fragen, wie z. B. nach Hierarchie, Heirat von Priestern, etc. gut prüfen.
Wichtig ist, dass die Teilnehmer der Weltsynode sich darüber austauschen und einander gut zuhören, zum Heiligen Geist beten und darauf hören, wohin der Geist die Kirche führen will. Und wenn Gott das will, dann sollten wir das machen.

 

Ein neues Jahr steht vor der Tür. Was würden Sie der Pfarrei für das kommende Jahr wünschen?

 

Ich würde uns wünschen, dass wir wieder lernen, uns von Jesus mehr lieben und heilen zu lassen. Es ist auch ganz wichtig, dass Kinder und Jugendliche eine Heimat finden in der Gemeinde. Ich würde uns wünschen, dass wir auf die Fremden und die Neuen zugehen, sie an die Hand nehmen, so dass sie in der Gemeinde eine Heimat finden.

 

Pfarrer Neumann, ich bedanke mich sehr herzlich für dieses Gespräch.
Gerhard Bauer