Macht unsere neue Pfarrei Fortschritte, Herr Pfarrer?

 

Ein Interview mit David Hassenforder,                                                                       

dem Leitenden Pfarrer der neu gegründeten                                                        

Pfarrei St. Johannes der Täufer.

 

 

Pfarrer David Hassenforder wurde 1982 in Troisdorf geboren. Nach dem Abitur studierte er bei den Steyler Missionaren in St. Augustin Theologie und schloss das Studium als Diplom Theologe ab. Danach bewarb er sich nach Berlin, wurde Priesteramtskandidat und ist im Juni 2011 in St. Hedwig zum Priester geweiht worden. Seine Primiz feierte er in Mariendorf im Bezirk Tempelhof an einem Pfingstsonntag. Seine erste Kaplanstelle trat er in St. Peter und Paul in Potsdam an. Danach war er kurz in Reinickendorf und kam 2015 als Kaplan nach Maria, Hilfe der Christen, in Spandau. Während der schweren Erkrankung von Pfarrer Mücke war er dort kurzzeitig Administrator. Als Pfarrer Daum die Pfarrei übernahm, wurde er Vikar und begleitete den Prozess der Bildung der Groß-Pfarrei Spandau Nord. Nach Beendigung dieses Prozesses in 2022 wechselte David Hassenforder als Leitender Pfarrer zum Pastoralen Raum Spandau-Süd, heute St. Johannes der Täufer.

 

Was hat Sie bewogen, den Priesterberuf zu ergreifen?

Es gab kein Berufungserlebnis, es war eine längere Entwicklung. Ich hatte zunächst nicht Theologie studiert, mit dem Ziel Priester zu werden. Durch verschiedene Entwicklungen, Ereignisse und gute Priester, die ich kennengelernt habe, bin ich nach und nach zu der Überzeugung gekommen, ebenfalls Priester zu werden. Es sind auch Alternativen weggefallen. Das macht der liebe Gott manchmal auch.

Warum haben Sie sich für Berlin entschieden?

Ich fand das Erzbistum Berlin reizvoll. Durch die Geschichte: Ost, West; Stadt, Land; Kirche in der Diaspora. In der Missionstheologie gibt es das Schlagwort: Ökumene der dritten Art, was die Situation „Ungetauft und Kirche“ umfasst. Das fand ich spannend: Christen in der Minderheit und Kirche in der Minderheit.

Was hat Sie in den zurückliegenden Monaten am meisten beschäftigt?

Vieles, was noch nicht geregelt ist im Hinblick auf die Zusammenführung und gleichzeitig, eine gewisse Routine zu finden. Jetzt habe ich quasi ein Jahr lang erlebt, wie es in den einzelnen Gemeinden ist, und es wäre schön, jetzt auch mal so ein bisschen Normalbetrieb zu erfahren. Das Tagesgeschäft ist das, was mich am meisten in Beschlag nimmt: Gottesdienste feiern, Taufen, Beerdigungen, etc...

Sind sich die Gemeinden der Pfarrei schon ein bisschen nähergekommen?

Ich glaube, am meisten angenähert haben sich die Gemeinden in der Jugend und bei den Senioren. Da erkenne ich fast überall eine gewisse Offenheit, die Notwendigkeiten dieser Zeit anzuerkennen. Ich freue mich, dass die Seniorengruppe in Sankt Markus jetzt am zweiten Mittwoch im Mai nach Kladow fährt, um dort an der Seniorenmesse und am Kaffee teilzunehmen und dass sie diese Mittwochs-Seniorenmesse so angenommen haben. Und auch bei der Jugend können wir feststellen, dass viele junge Leute für die neuen Gremien kandidiert haben. Aber wir müssen uns auch fragen, wie gut sind einige unserer Gemeinden, die vorher schon fusioniert hatten, zusammengewachsen? Fusionieren und Zusammenwachsen bedeutet ja nicht, eigene Identitäten völlig aufzugeben, sondern Notwendigkeiten zu akzeptieren, Chancen zu erkennen und sich einfach miteinander verbunden zu fühlen. Jesus hat eine Kirche gegründet, die sich auf der ganzen Welt miteinander verbunden fühlt. Gemeinden, Strukturen, ganze Diözesen sind im Laufe der 2000 Jahre immer wieder entstanden und auch zugrunde gegangen. Aber dieses eine Gemeinsame, Verbindende, das glaube ich, müssen wir manchmal noch entdecken. Auch heute, nach 2000 Jahren.

In welchen Bereichen können Spandau-Nord und -Süd zusammenarbeiten?

Da wäre einmal die gemeinsame Fronleichnamsprozession, die kein einmaliges Projekt bleiben soll. Dann die Öffentlichkeitsarbeit, um auf der bürgerschaftlichen, politischen Ebene leichter als eine katholische Kirche in Spandau erkennbar zu sein. Wir haben uns auch darauf geeinigt, dass öffentliche Termine Pfarrer Daum wahrnimmt und ich mich um die gemeinsamen Treffen der pastoralen Mitarbeiter kümmere. Wir werden auch im Bereich des sozial karitativen Engagements sicherlich noch mehr Punkte finden, wo wir zusammenarbeiten können. Unsere Pfarrei hat als größten Player die Laib und Seele Ausgabestelle, im Norden ist es die Suppenküche in Sankt Marien.

Was vermissen Sie hier und welches Projekt würden Sie gerne verfolgen?

Im Moment keine Projekte! Einfach, dass wir mal so ein bisschen zur Ruhe kommen und uns aneinander gewöhnen. Was ich mir vorgenommen habe – ob das im nächsten Jahr schon möglich sein wird, weiß ich nicht – ist eine gemeinsame Reise, wo sich Menschen aus den verschiedenen Gemeinden auch kennenlernen und vielleicht Multiplikatoren werden.

Gibt es genügend Zeit für Seelsorge oder überwiegt die Verwaltungsarbeit?

Es gibt für alles Zeit, wofür ich mir Zeit nehme und wo ich meine Schwerpunkte und Prioritäten setze. Es gibt ganz grob drei Bereiche: die Verwaltung, die persönliche Einzelseelsorge und die große Gemeindepastoral. Alles hängt miteinander zusammen. Verwaltung ist wichtig, aber da fühle ich mich momentan am wenigsten belastet. Viel schwieriger ist es, in der Gemeinde-Seelsorge alle Erwartungen zu erfüllen, angefangen bei den regelmäßigen Gottesdiensten, aber auch bei allen Festen und Feiern soll sich der Pfarrer sehen lassen und sich mit allen unterhalten. In einer Stunde erreiche ich dann z. B. beim Frühschoppen eine Menge Menschen. Das ist öffentlichkeitswirksam. Wenn ich aber mit jemandem zusammensitze, der nach einem Todesfall oder bei einer Erkrankung in einer wirtschaftlichen Notlage ein Problem hat und sich anderthalb Stunden meiner Zeit nimmt und ich mir die nehme, dann kriegt das gar keiner mit. Was die Gremien anbelangt, werde ich mich auf zwei beschränken, wo ich wirklich versuche, immer präsent zu sein und auch inhaltlich maßgeblich mitzuarbeiten, soweit es möglich ist: Pfarreirat und Kirchenvorstand. Für die Gemeinderäte habe ich zum Teil schon Vertreter benannt. Ich möchte mir genügend Zeit reservieren für Einzelseelsorge, weil ich das ganz essenziell mit meinem Priestersein verbinde. Die Vorbereitung einer Hochzeit, einer Beerdigung sind mir sehr wichtig. Das hat zur Folge, dass ich vielleicht nicht überall öffentlich so in Erscheinung treten kann, wie das gewünscht ist. Aber ich bin ja auch nicht alleine und überall sind Seelsorger, die auch zur Verfügung stehen.

Wie schöpfen Sie neue Energie und wie verbringen Sie Ihre Freizeit?

Meine Freizeit verbringe ich mit meinem Hund. Ich habe einen kleinen Freundeskreis, mit dem ich mich treffe. Ich mache gerne Exit Games, wo man knifflige Rätsel lösen muss, und zwar als Team. Man spielt nicht gegeneinander, sondern miteinander gegen die Zeit. Ansonsten bin ich, war ich früher mal Cineast, aber spätestens seit Corona gehe ich nicht mehr so häufig ins Kino und überlege jetzt auch, meine Filmzeitschrift abzubestellen, weil ich einfach nicht mehr zum Lesen komme ...

Gibt es Schwerpunkte, die Sie für die neue Pfarrei setzen möchten? 

Ich sehe mich ja gar nicht in der Rolle, hier Schwerpunkte zu setzen. Eigentlich ergeben die sich aus dem Pastoralkonzept, das wir festgelegt haben. Und das ist vielleicht auch die größte Herausforderung, dass dieses Pastoralkonzept ja bei den meisten Akteuren in den Gremien so gar nicht bekannt ist. Ich glaube, wir vergessen ein wenig, dass dieser ganze Prozess das Ziel hat, dass verschiedene Gemeinden eine neue Pfarrei bilden. Der Weg dahin wurde größtenteils von Ehrenamtlichen aus den einzelnen Gemeinden in den verschiedenen Arbeitskreisen gegangen. Es muss uns gelingen, alle ins Boot zu holen und dafür zu sorgen, dass sich alle mit dieser Pfarrei identifizieren können, so dass weniger die Verlustängste, sondern mehr die Chancen im Mittelpunkt stehen. 

Wo würden Sie die größten Chancen für die Pfarrei sehen? 

Chancen sind, dass man mit mehr Leuten oftmals mehr erreichen kann. Jeder, der Teil einer Gemeinde ist, erfährt doch, dass es in der Gemeinschaft schöner ist, als alleine. Warum soll das nicht auch in so einer Gemeinschaft von Gemeinden, was letztendlich unsere Pfarrei ist, möglich sein? Jede Gemeinde hatte bereits in der Vergangenheit ihr eigenes Charisma und es gab viele Menschen, die, wenn sie es hätten aussuchen können, nicht fusioniert hätten. Es gab aber keine Gemeinde, die nur noch gewachsen ist, wo alles immer lebendiger und aktiver wurde. Und es gab keine Gemeinde, die ihr Niveau der letzten 30, 40, oder 50 Jahre in Hinblick auf ehrenamtliches Engagement, Anzahl der Gottesdienstbesucher oder Finanzen irgendwie halten konnte. Also wenn wir das jetzt nicht als Chance begreifen - und das muss man sich auch manchmal selbst sagen und positiv mitgestalten - dann ist absehbar, dass es in einigen Jahrzehnten nicht mehr geht. Was Chance ist, muss man selber formulieren und sich manchmal ein bisschen zu einem Optimismus zwingen, aus den Zitronen, die das Leben dir schenkt, Limonade zu machen. Ja, es wird manches wahrscheinlich nicht mehr geben. Manches wird auslaufen, weil es keine Menschen mehr gibt, die eine bestimmte Gruppe oder ein bestimmtes Angebot pflegen oder besuchen. Das tut dann auch weh. Dafür entsteht vielleicht etwas anderes: wenn es an drei verschiedenen Orten zum Beispiel so eine kleine Seniorengruppe oder eine kleine Interessensgruppe gibt, die ausstirbt, tun sich diese vielleicht zusammen und verhindern das Aussterben. Realitäten anzuerkennen, bedeutet ja nicht, dass man alles irgendwie am Leben hält, sondern man kann neue Initiativen wecken, beispielsweise was Glaubens-, Gesprächs- und Bibelkreise angeht, wo wir durchaus wahrnehmen können, dass es da ein Bedürfnis gibt. 

Es gab einmal die Idee eines City Büros. Ist das noch aktuell? 

Also mein Herz schlägt für missionarisches Auftreten der Kirche. Ich halte nur ein Ladenlokal in der Spandauer Altstadt nicht unbedingt für der Weisheit letzten Schluss, denn ich kann dort gar nicht so viele Leute über einen Laden erreichen. Da sind vor allem viele Touristen. Ein erster kleiner Schritt wäre, unsere Kirchen tagsüber offen zu halten. Unsere Kirchen sind die größten Leuchttürme, sichtbar für ganz normale Menschen, die da jeden Tag dran vorbeigehen.

Was sind die größten Unterschiede zwischen Spandau Nord und Süd? 

Also die größte Überraschung für mich war, dass es, immer wenn ich eine Gemeinde gewechselt habe, gar nicht viele große, essenzielle Unterschiede gibt. In allem, was wir vor Ort so schön finden und was wir auch nur hier zu finden glauben, sind sich alle Gemeinden doch sehr viel ähnlicher, als man glaubt. Ich glaube, das liegt daran, dass wir Christen sind und Katholiken und dass wir die gleiche Messe feiern. Was Personal anbelangt, sind wir im Süden noch etwas knapper aufgestellt. Ansonsten sind wir von den Strukturen ähnlich. Wir haben städtisches Bild und ländliche Teile. Wir haben soziale Brennpunkte mit ähnlichen Herausforderungen. 

Was wird sich wegen des Priestermangels in der Pastoral ändern müssen? 

Meine Grundüberzeugung ist: Wir haben keinen Priestermangel. Es gibt zwar immer weniger Priester, aber auch immer weniger Gläubige. Das muss miteinander zusammenhängen. Wir haben nicht weniger Gläubige, weil es weniger Priester gibt, sondern umgekehrt. Wir haben weniger Priester, weil es weniger Gläubige gibt. Daraus erwachsen auch weniger Berufungen. Die Priester kommen ja aus Familien, aus Gemeinden, die den Glauben gemeinsam leben und teilen. Ich glaube, wir haben uns zu sehr damit abgefunden, jetzt so Ersatzsachen zu schaffen. Es ist sicherlich wichtig, auf eine Notlage zu reagieren. Aber viel wichtiger und langfristiger wäre es, wieder ein berufungsfreundliches Klima zu schaffen, Menschen im Glauben zu stärken, Menschen zu ermutigen, Familien zu gründen und Kindern das Leben zu schenken. Und auch innerhalb der Familien die Kinder so im Glauben aufwachsen zu lassen, dass da vielleicht auch mal so eine kleine Berufung wachsen kann. Ich sehe eher die Gefahr, dass man nun Tatsachen schafft und manifestiert, die man dann gar nicht mehr ändern kann. Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, keine Pfarreien, Neugründungen oder Fusionen von Gemeinden zu machen und zuzulassen, dass eine Gemeinde auch ohne Leitung ist. 

Würden Sie Fusionierungen als Notlösung für den Moment sehen? 

Also, ich glaube, in diesem ganzen pastoralen Prozess wurde der Fehler gemacht, dass die jetzige Lösung als Pastoral der Zukunft, auf die wir schon lange gewartet haben, dargestellt worden ist, anstatt zu sagen, das ist jetzt aus einer Not heraus geboren, und wenn es anders ginge, würden wir es auch anders machen oder es gerne so belassen. Und das hat eben nicht nur was mit Priestermangel zu tun, das hat auch was mit Gläubigen-Mangel zu tun. Und diese Notlösung sorgt nicht dafür, dass der Priesterberuf attraktiver wird. 

Wenn Sie in fünf Jahren zurückblicken, was hätten Sie gerne erreicht/verändert? 

Also wenn wir es erreicht hätten, dass wir irgendwie sagen können, wir fühlen uns nicht nur in St. Markus, St. Wilhelm, Kolbe und Franziskus und Himmelfahrt zu Hause, sondern wir fühlen uns auch in Sankt Johannes der Täufer auch irgendwie zu Hause, fände ich das schon schön. Ich würde mir wünschen, dass wir viele Menschen erreichen, dass wir überall noch eine Sonntagsmesse mehr anbieten müssen, weil plötzlich wieder mehr Leute kommen. Dass wir sagen, wir schauen positiv in die Zukunft. 

 

Pfarrer Hassenforder, wir bedanken uns sehr herzlich für dieses Gespräch.

Sophie Dziaszyk und Gerhard Bauer